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Hämatom und "Die Liebe ist tot": Peaks, Plateaus und Plattitüden

Süffisant als Cover-Band tituliert, in den frühen Stunden ihrer Laufbahn durchaus belächelt und mit politischen Zerwürfnissen konfrontiert, planen Hämatom nun den erstmaligen Gipfelsturm auf die Pole-Position der deutschen Charts. Im Proviant befinden sich die härtesten Songs der jüngeren Bandgeschichte und dauerzwinkernde Augenpaare.

Hämatom haben das dringende Bedürfnis, etwas zu sagen. Die Werbekampagne der neuerlichen Veröffentlichung war von gesellschaftskritischer Natur, wenn auch nur bedingt innovativ. Im Rahmen des „Wir sind Gott“-Zyklus initiierte man bereits eine durch Social Media gestützte Stickerkampagne, die seinerzeit in durchaus kreativen Einsendungen resultierte. Auch einige Jahre später mangelte es nicht an der Kreativität der Fangemeinde. Doch wie steht es mit der Kreativität, die hier in einer überschaubaren Gesamtspielzeit von 34 Minuten konserviert wurde? Durchaus überzeugend, sieht man von so mancher textlicher Plattitüde ab.

Hätte man sich für den Opener, der mit Fug und Recht als Herzstück der Platte angesehen werden kann, einen einfallsreicheren Refrain überlegt, so wäre er noch bedeutend stärker, als er es ohnehin schon ist. Andererseits entfacht er durch seine Einfachheit humorlos die beabsichtige Wirkung, ein zweischneidiges Schwert. Hat man in grauer Vorzeit noch Volks- und Kinderliedern mittels Neuinterpretation einen Bärendienst erwiesen, sind die heutigen Gesangsspuren einer unschuldigen Kinderstimme wohlklingend und eine willkommene Facette. Ein Mosaikstein in einem Soundgeflecht, welches sich über die letzten Jahre von Album zu Album gesteigert hat. Man kann Hämatom in angesichts ihres regen Podcast-Daseins sicherlich keine allgemeine Humorlosigkeit unterstellen - und doch vollbringen sie die Zusammenführung von unanständiger Härte und destruktiver KIZ-Manier mit Bravour. „Jeder gegen jeden“ prangert eine allgemeine Verrohung der Debattenkultur an, indem es selbst vor musikalischer Verrohung nur so strotzt. Ein interessanter Ansatz. Bleiben wir bei der Vorliebe für mutwillige Zersetzung, so quetscht sich die Kooperation mit den 257ers in den Fokus. Die musikgewordene Anarchie fungiert als Direkteinspritzung für den Bewegungsapparat. Erst ein Flirt mit Trailerpark auf dem W:O:A, dann ein gemeinsamer Track mit zwei irrwitzigen Spaßvögeln. Das Überraschungsmoment haben die Franken auf ihrer Seite. Das dazugehörige Musikvideo könnte nicht treffender sein. Der „Zahltag“ ereignet sich auf einer merkwürdigen Ebene zwischen zynischem Hip-Hop, den Apokalyptischen Reitern und Farin Urlaubs „Dusche“. Sänger Nord darf hemmungslos aufdrehen und ebenjene Ausbrüche sind es, die dem Album Charisma verleihen und von sonstigem Einheitsbrei absetzen.

Doch wo Licht ist, da gibt es auch ein „Ihr wisst gar nichts über mich“. Mäßiger Deutschrock mit noch mäßigerem Text, der sich mit einer druckvollen Abmischung sang- und klanglos über die Ziellinie rettet. „Ich hasse euch alle“ hätte möglicherweise noch ein wenig mehr Reifezeit vertragen können. Die Übergänge im Strophe-Refrain-Schema sind holprig, auch wenn die Anleihens an Slipknots Lebenswerk wirklich bemerkenswert sind. In einer derartigen Rage hat man Hämatom selten erlebt. „Zeit zu gehen“ beschließt das Album mit einer Powerballade/Schunkelnummer, die es nicht notwendigerweise gebraucht hätte. Nett, aber mit überschaubarem Mehrwert.

Immense Peaks weichen auch vereinzelten Belanglosigkeiten, sodass es in der Gesamtbetrachtung nicht für eine Spitzenwertung ausreicht. Trotzdem ist die Bandentwicklung ein schönes Zeichen dafür, dass sich unermüdliches Touren und eine enge Fanbindung (das berüchtigte Freak-Team) auf der Langstrecke auszahlen können, selbst unter widrigen Startbedingungen.

Fazit

6.9
Wertung

Schon der Supportslot auf Eisbrechers Höllentour II ließ im Jahr 2012 erahnen, wohin die Reise im Hause Hämatom einmal gehen könnte. Wie kontinuierlich es allerdings seither bergauf ging, ist allemal beachtlich.

Marco Kampe